Report: Foltermethoden in deutschen Schweineställen
Hamburg (WELT) – „Ferkeln werden die Hoden abgeschnitten, Küken die Schnäbel gekürzt – mit offizieller Genehmigung. Die deutsche Tageszeitung „Die Welt“ wirft jetzt einen Blick hinter die Kulissen der Agrarlobby. Dieser Blick schreckt ganz Deutschland auf, doch gleichzeitig fordern zwei Drittel der Deutschen immer noch billige Fleischpreise.
„Ein Schweinemäster erzielt mit einem Tier einen Deckungsbeitrag von gerade mal sechs, maximal sieben Euro“, erklärt Professor Achim Spiller von der Universität Göttingen, einer der renommiertesten Agrarökonomen im Land, „also braucht er Masse.“ Ein Schwein, rechnet Spiller vor, wird etwa 100 Tage alt, somit schafft der Mäster bei 365 Tagen einen Durchlauf von maximal 7500 Schweinen pro Jahr. Macht einen Jahreserlös von rund 45.000 Euro.
Der Preiswettbewerb in der Branche ist hart – berichtet „Die Welt“, weil die Konsumenten nicht bereit sind, höhere Preise für eine artgerechte Tierhaltung zu zahlen. Das sagen die Mäster. Die Folge ist, dass mindestens 80 Prozent aller in Deutschland lebenden Mastschweine laut Schätzungen von Tierschutzorganisationen gekürzte Schwänze haben. Was wiederum ein Resultat daraus ist, dass neun von zehn Schweineställen nicht artgerecht gebaut sind: eng, mit Betonboden und ohne Stroh, in dem die Tiere wühlen könnten.
In Niedersachsen, dem mit Abstand größten Fleischstandort Deutschlands, will Landwirtschaftsminister Gert Lindemann (CDU) laut „Die Welt“ die Tierquälerei nun stoppen: mit einem Tierschutzplan, der laut Lindemanns Ankündigung „die Leiden der Nutztiere verringern“ soll. Schafft er das, käme es einer Revolution in der industriellen Tierhaltung gleich – zumal der Rest Deutschlands sich wohl anschließen würde. Das sind neue Töne von einem CDU-Argrarminister.
Seine Vorgängerin Astrid Grotelüschen (CDU) hatte ganz anders argumentiert. Weil ihr Ehemann Deutschlands zweitgrößte Mastputenbrüterei betreibt, die pro Jahr fünf Millionen Küken herstellt und mit Wiesenhof zusammenarbeitet, erhielt sie den wenig schmeichelnden Spitznamen „Putenprinzessin“. Sie stolperte nach kurzer Amtszeit über einen mit dem Betrieb ihres Mannes verknüpften Dumpinglohn-Skandal. Als Lindemann im Januar übernahm, waren die Wähler derart aufgebracht über den Filz aus Fleischbaronen, CDU und Ministerium, dass es keine Alternative mehr gab, als kräftig aufzuräumen.
Die niedersächsischen Pläne sind richtungsweisend. Sachsen und Thüringen kündigten an, die Beschlüsse des großen Fleischproduktionsstandortes zu übernehmen. Auch im Bundesverbraucherschutzministerium hat das Thema seit ein paar Monaten Fahrt aufgenommen: Ministerin Ilse Aigner kündigte gegenüber der „Welt am Sonntag“ an, im kommenden Jahr werde ein verbessertes bundesweites Tierschutzgesetz in Kraft treten.
Quelle: WELT Online